Scharoun Ensemble: Klassiker neu interpretiert
Zeitgenössisch, klassisch und romantisch gratulierten die Berliner dem Wolfsburger Theater – und sich selbst.
Poetisch, sinnlich sogar, aber auch flimmernd – als spielte das Scharoun Ensemble an einem allzu heißen Sommertag, also sehr kontrastreich.
Hans Werner Henze (1926 bis 2012), Komponist der Neuen Musik, fand auf der italienischen Insel Ischia zum „Belcanto“, zur schönen Musik und vertonte Gedichte von Ingeborg Bachmann. Henze schuf, wie Eberhard Kneipel im Programmheft schreibt, musikalische, nicht ganz zuzuordnende, „Reisebilder“. Mit Henzes „Quattro Fantasie“, den Oktettsätzen aus der Kammermusik 1958, eröffnete das Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker am Sonntagabend sein „Ständchen“ für das Wolfsburger Scharoun-Theater.
„Happy Birthday X 2“: 1973 fand die Eröffnung des Theaters statt, 1983 war dann die Gründung des Ensembles. Eigentlich sind es sogar drei Jubiläen: 1963 wurde nämlich
der Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, dem bekanntesten Bauwerk des Architekten, eingeweiht, wo sie ihre „Heimspiele“ aufführen. Henze komponierte für das neunköpfige Ensemble, das sich wiederum ständig mit den 1960 geschriebenen
„Quattro Fantasie“ auseinandersetzt. Diese Musiker verstehen sich als Grenzgänger, die ebenso zeitgenössische Werke wie klassische und romantische spielen, und somit wie Hans Scharoun in seiner Weltarchitektur Tradition und Moderne in der Weltmusik verbinden. Verschiedene Stile in einem Konzert – kein Problem, wie die Ovationen am
Schluss zeigten. Auch nicht für das hiesige Publikum im weitgehend besetzten
Saal. Experiment bedeutet für dies Ensemble auch, in die Neue Musik ein wenig Klassik und Romantik zu mischen. Und Bachs „Englische Suite Nr. 2 a-Moll, BWV 807“ in einer Bearbeitung für Oktett von J. Jones zu interpretieren. Sind diese Kompositionen doch Konzertsuiten des jungen Bach, die damals „bei Hofe“ gefragt
waren. Bach bewies, so der Kammermusikführer, dass er „im französischen Stil so vollendet zu schreiben“ verstünde „wie die Franzosen selbst“. Obwohl er sich wie in
der „Gigue“ eher an der italienischen Giga mit ihren fließenden Achteln orientierte.
Das Scharoun Ensemble brachte dies zum Ausdruck. Dann war Franz Schuberts längstes Kammerwerk, das „Oktett für Klarinette, Horn, Fagott und Streicher, F-Dur“, D 803, komplett. Eine Komposition musikalischer Erneuerung, denn Schubert nahm sinfonische Einflüsse Beethovens auf, zugleich klassische Elemente Mozarts, verwob aber Bläser und Streicher zu Klangteppichen. Schuberts Oktett löste vor 40 Jahren die Gründung des Scharoun Ensembles aus.
Von den Gründungsmitgliedern sind Peter Riegelbauer (Kontrabass) und Stefan de Leval Jezierski (Horn) noch dabei. In Wolfsburg traten zudem Wolfram Brandl (Violine), Rachel Schmidt und Christophe Horak (Violinen), Micha Afkham (Viola), Claudio Bohórquez (Cello), Alexander Bader (Klarinette) und Markus Weidmann (Fagott) auf. Sie lobten, freute sich Intendant Rainer Steinkamp, der den Lattemann-Spielplan umsetzt, „die herausragende Akustik unseres Scharoun-Hauses“.
Ausdrucksstark und einmaliger Klang:
„Geburtstagsparty“ mit dem Scharoun Ensemble
Wolfsburgs Theater zelebriert sein Jubiläumsjahr – Brillantes, bis in feinste Nuancen abgestimmtes Zusammenspiel
Hervorragende Orchestermusikerinnen und -musiker lieben es, durch Solospiel den Charakter und besonderen Reiz einer Kammermusik in kleineren Ensembles zu Gehör zu bringen. So geschehen im Konzert am Sonntag im Scharoun Theater.
Der Programmtitel „Happy Birthday X 2“ weist auf die besonderen Jubiläumsanlässe hin.
Denn vor genau 40 Jahren gründeten acht Orchestermitglieder das „Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker“, zehn Jahre zuvor, also vor 50 Jahren wurde unser Theater, das den Namen seines Architekten Hans Scharoun trägt, in Wolfsburg eröffnet. Exakt 10 Jahre vorher war er der Erbauer der Berliner Philharmonie. Und weitere 10 Jahre davor entstand die Komposition, die den Abend eröffnete.
Einmalige Klangqualität, sinnliche Klänge
Unter dem Titel „Quattro Fantasie“ hat Hans Werner Henze (1926-2012) drei Oktettsätze aus der „Kammermusik 1958“ und das später komponierte „Adagio“ vereint. Nach seinem Studienbeginn in Braunschweig gelang es ihm, die noch frischen Regeln der Zwölftontechnik in eine eigene Tonsprache zu übertragen. Henze bezieht mit der Musik auch häufig politisch Stellung, indem er Atonalität (Fortschritt) und Tonalität (Vergangenheit) gegenüberstellt. Das Oktett ist „unpolitisch“, obwohl die Satzüberschriften „Prefazione (Vorspiel) – Sonata – Cadenza – Epilogo (Adagio)“ an barocke Vorbilder erinnern. Dennoch sind Zwölftonreihen die Grundlage der Komposition. Das Scharoun Ensemble hat sich mit dem Werk immer wieder auseinandergesetzt. Die für viele Ohren heute noch ungewohnten sich „beißenden“
dissonanten Klänge erreichen bei den orchestererfahrenen Musizierenden eine mitreißende Ausdrucksstärke und einmalige Klangqualität. Den sinnlichen Klängen, den flirrenden und lebendigen, aus dem Nichts kommenden und wieder verschwindenden Klangfeldern kann sich niemand entziehen. Davon lässt sich das konzentriert folgende Publikum spürbar in den Bann ziehen.
Perfekte Spieltechnik, gepaart mit Spielfreude
Gleiches gilt für die folgende „Englische Suite, BWV 807“ von Johann Sebastian Bach. Original ist sie für das „Clavier“ der Bachzeit, dem Cembalo geschrieben. In einer
überzeugenden Bearbeitung für das Oktett, erhält die Musik einen neuen Charakter. Bei „Puristen“, die nur die Originalfassung gelten lassen, könnte eine derartige Bearbeitung auf Ablehnung stoßen. Aber das brillante, bis in feinste Nuancen abgestimmte Zusammenspiel und die perfekte Spieltechnik, gepaart mit Spielfreude und hoher Musikalität, von Wolfram Brandl, Rachel Schmidt, Christophe Horak
(alle Violine), Micha Afkam (Viola), Claudio Bohórquez (Cello), Peter
Riegelbauer (Kontrabass), Alexander Bader (Klarinette), Markus Weidmann (Fagott) und Stefan de Leval Jeziersky (Horn) unterstreichen die Zeitlosigkeit und Universalität
Bachs.
Langanhaltender Beifall als Dank ans Ensemble
Dem musikgeschichtlich einmaligen „Oktett für Klarinette, Horn, Fagott und Streicher“, D 803 von Franz Schubert verdankt das Ensemble seine Existenz. Von der genialen Musik, die Klassizismus, Biedermeier und Romantik zusammenfasst,
fühlten sich die acht Mitglieder der Berliner Philharmoniker seinerzeit erausgefordert. Ihr Vortrag ist zum Maßstab aller Ensembles geworden.
Angetan vom Miterleben einer solchen künstlerischen Spitzenleistung ist langanhaltender Beifall der Dank an ein Ensemble, das sichtbar erfreut dem Publikum zugewandt ist.
Kammermusikalischer Feinschliff: 40 Jahre Scharoun Ensemble
Unvermindert jugendlich: Im Sinne seines Namensgebers verbinden diese Musiker Tradition und Moderne
Nicht das Etikett „philharmonisch“ trägt das Scharoun Ensemble Berlin im Titel, sondern den Namen des Architekten seiner Heimstatt, der Berliner Philharmonie. Bis heute prägt er das Profil des Klangkörpers, zu dem sich vor 40 Jahren junge Orchestermitglieder zusammenfanden, zunächst „nur“ mit dem Ziel, Schuberts einzigartiges Oktett aufzuführen.
Im Geburtstagskonzert hat dieses vielschichtige Werk alles andere als 40 Jahre lang Staub angesetzt. Es erklingt so frisch und neu, als wäre es eben erst aus der Taufe gehoben worden. Exemplarisch zeigt sich hier, wie kammermusikalischer Feinschliff auch von den Entwicklungen eines Orchesters profitieren kann. Alles ist durchsichtiger, feingliedriger, detailfreudiger geworden; der Auseinandersetzung mit „historisch informierter“ Spielweise sei’s gedankt.
Wolfram Brandl an der ersten Violine vermeidet alle vordergründige Süße, wirkt umso mehr mit zuweilen betörendem Schmelz und nimmt sich immer wieder diskret zurück. Mit Alexander Baders Klarinette tritt er in mal launigen, mal empfindsamen Dialog. Stefan de Leval Jezierski steuert romantische Hornrufe und dramatisch aufheizende Signale bei, nicht weniger wandlungsfähig zeigt sich Markus Weidmann am Fagott. Rachel Schmidt an der zweiten Geige und der Bratscher Micha Afkham vollbringen wahre Wunderwerke an feingesponnener Figuration – „Begleitung“ kann man das nicht nennen.
Beredtes Mienenspiel
Im Zentrum sitzt Claudio Bohorquez, hält die Fäden mit beredtem Mienenspiel und warmen Cellotönen zusammen, unterstützt vom so wichtigen Kontrabass-Fundament von Peter Riegelbauer. Alles atmet eine Einmütigkeit, eine klanglich-emotionale Ausgewogenheit, als spielte hier eine Person – die sich dann wieder in ganz unterschiedliche Facetten auffächert.
Dieses belebende und bewegende Spiel erhält nach einer rasanten Stretta des kleingliedrig akzentuierten, dadurch sehr witzig betonten Finales begeisterten Applaus im vollen Kammermusiksaal. Der erste Programmteil bezeugt das Engagement des Ensembles für Zeitgenössisches im Sinne des Tradition und Moderne verbindenden Namensgebers.
Hans Werner Henzes „Quattro Fantasie“ erscheinen in melodiöser Klangsinnlichkeit ein wenig verblasst. Christophe Horák profiliert sich gleichwohl mit intensiver erster Violine. Brett Dean, ehemaliges Philharmoniker- und Scharoun-Mitglied, gratuliert mit der dramatischen Szene „Ich lausche und höre“ für Sopran und Oktett, ein Vorgriff auf eine geplante Oper. Die Uraufführung dieser expressiven, von Sarah Aristidou mit allen Nuancen von Verzweiflung und Leidenschaft versehenen Totenklage erhält besonders herzlichen Beifall.
Dennoch gebührt die Komponistenkrone hier David Philip Hefti: „Des Zaubers Spuren“ folgt Schuberts Oktett mit zunächst geräuschhaft verunklarter Suche nach tonalen Zentren, die in klagende Melodik mündet und diese Kontrastelemente in faszinierende Bewegung bringt, plastisch dargestellt von den unermüdlichen, darin unvermindert jugendlichen „Scharouns“.
Geheimtipp für Kenner und Neugierige
Das Scharoun Ensemble präsentiert drei bisher kaum bekannte Werke aus Dvořáks Kammermusikrepertoire in künstlerischer Vollendung, lebendiger musikalischer Interpretation und mit viel Liebe zum Detail.
Mit ihrer sechsten CD beweisen die Mitglieder des Scharoun Ensembles Berlin ein weiteres Mal ihr Gespür dafür, außergewöhnliche Programme zusammenzustellen. Antonín Dvořák ist weder in sinfonischer noch in kammermusikalischer Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt, und doch stehen die drei hier vorgestellten Werke – die Bagatellen op. 47, das Terzetto op. 74 und das Streichquintett op. 77 – deutlich im Schatten berühmterer Werke wie dem Klavierquintett op. 81, dem Cellokonzert op. 104 oder der Neunten Sinfonie op. 95. Die vorliegende Einspielung könnte dazu beitragen, diese vermeintlich unscheinbaren Werke in ihrer Qualität aufzuwerten und sie einem interessierten Publikum näherzubringen. Während an den von Dvořák verwendeten Gattungsbezeichnungen zunächst noch nichts Ungewöhnliches auffällt, liegt die Besonderheit im Detail, nämlich an der Art der Besetzung. In jedem der Werke weicht der Komponist von dem ab, was den Zuhörern bisher als Standard bekannt ist, was sich jedoch nicht in dem radikalen Wunsch nach Andersartigkeit äußert, sondern stets dezent bleibt und damit für manche erst auf den zweiten Blick erkennbar wird.
Ungewöhnliche Besetzungen in feiner musikalischer Nuancierung
Wie dem in drei Sprachen vorliegenden und sehr informativen Booklettext zu entnehmen ist, machte Dvořák in seinen Bagatellen op. 47 aus der Not, dass den Musikers kein Klavier, sondern ein Harmonium zur Verfügung stand, eine Tugend, indem er kurzerhand die Klavierstimme auf dieses Instrument übertrug. Die anfängliche Fremdartigkeit des Klangs, der manchen Zuhörer an Dudelsack oder Akkordeon erinnern könnte, weicht schnell einem Höreindruck, der das Spiel aller vier Musiker miteinander verschmelzen lässt. Auf diese Weise entsteht ein ausgewogener Gesamtklang, bei dem schließlich nur noch die Frage im Raum steht, ob der dunkle, unaufdringliche Klang des Harmoniums nicht sogar weitaus besser zum Charakter der Stücke passt als die Helligkeit und Brillanz des Klaviers. Mit seinem differenzierten Spiel sorgt Wolfgang Kühnl für einen soliden Klangteppich, über dem sich Violinen und Cello frei entfalten können, erzeugt aber in anderen Passagen sinfonische Klangfülle, welche die Bagatellen op. 47 als Werk von großer dynamischer Bandbreite, klanglicher Vielfalt und solistischer Präsenz auszeichnet.
Ähnliches gilt auch für das Terzetto, das mit der Kombination aus zwei Violinen und einer Viola seinem aus der Vokalmusik stammenden Namen alle Ehre macht. Dvořák überträgt hier die charakteristische Kantabilität eines Vokalensembles auf eine Besetzung aus hohen Streichinstrumenten, so dass die Assoziation eines dreistimmigen Frauenchors – Sopran, Mezzosopran und Alt – naheliegt. Das Werk lebt von dem Wechsel zwischen lyrischen, leidenschaftlichen und hochvirtuosen Passagen, in denen die Künstler neben klanglicher Eleganz und Zartheit eine Spielfreude zum Ausdruck bringen, die sich auf den Hörer überträgt.
Dramaturgisch sinnvoll aufgebaut
Nicht nur die Zusammenstellung der Werke erweist sich in ihren inhaltlichen Gemeinsamkeiten als gelungen, sondern auch die Dramaturgie der Anordnung. Das Scharoun Ensemble empfängt den Hörer mit jenen vertrauten Klängen, die ein Dvořák-Kenner mit der Musik dieses Komponisten in Verbindung bringt. Der erste Satz der Bagatellen vereint viele Elemente, die hierzulande als typisch slawisch bezeichnet werden, wie z.B. melancholischen Ausdruck, tänzerischer Charakter, eingängige Melodie und ein hohes Maß an Leidenschaftlichkeit. Zur Lebendigkeit der Interpretation trägt auch der Umstand bei, dass die Musiker unabhängig von ihrer intonatorisch stets sauberen Darstellung nicht davor zurückschrecken, ihren Instrumenten etwas rauere, beinahe kratzige Töne zu entlocken, um den volkstümlichen Charakter der Musik zu unterstreichen – ein klangliches Phänomen, das besonders gut im fünften Satz der Bagatellen zu hören ist, der mit einem charakteristischen Cellosolo beginnt. Im weiteren Verlauf der Einspielung ist der Hörer eingeladen, die gesamte Bandbreite von Dvořáks kammermusikalischer Welt kennenzulernen, die vom Scharoun Ensemble sowohl in dynamischer als auch in klangfarblicher Hinsicht in ihrer ganzen Vielfalt ausgelotet wird. So endet die Entdeckungsreise mit einem Streichquintett, das sich dank Dvořáks Hinzunahme eines Kontrabasses bis zu sinfonischen Ausmaßen steigert und in einem furiosen Finale mündet.
Die Einspielung des Scharoun Ensembles hat jedem Dvořák-Freund, egal ob Kenner oder Laie, etwas zu bieten. Die klanglich und technisch überzeugende Aufnahme macht neugierig auf weitere Interpretationen.
Antonin Dvorák liebte die Kammermusik für Streicher – und er schrieb immer wieder für außergewöhnliche Besetzungen.
Die kamen häufig zustande, weil Dvorák für häusliche Anlässe komponierte: Seine Bagatellen op. 47 für Streichtrio und Harmonium schrieb er, damit sich auch ein befreundeter Musikkritiker am Spiel beteiligen konnte; sein wundervolles Terzetto op. 47 für zwei Geigen und Bratsche entstand für einen geigenden Nachbarn, dessen Lehrer – und sich selbst an der Viola. Diese Stücke komponierte Dvorák meist schnell, beiläufig ist diese Musik ganz und gar nicht. Wie fein winden sich in den Bagatellen die Streicherstimmen umeinander, wie kunstvoll ist der Kanon zwischen Geige und Cello im vierten Stück! Dvorák veredelt damit den folkloristischen Tanzton, der dieses Werk prägt – und mit dem er wiederum auf die Besetzung reagiert. „Der Dudelsack spielte heute“, lautet das tschechische Lied, das er zu Beginn der ersten Bagatelle ausführlich zitiert. Das Harmonium liefert dazu die blasebalghaften Liegetöne und steuert später milden Dämmerschein zum Ensembleklang bei. Das Scharoun Ensemble aus Musikern der Berliner Philharmoniker mit Wolfgang Kühnl am Harmonium spielt das mit viel Liebe, mit wehmütigem Schmelz – und steigert sich im Terzetto op. 47 weiter. Wunderbar voll und warm ist hier der gemeinsame Klang (ein Cello muss man bei solch voluminösem Bratschenton nicht vermissen), durchhörbar ist Dvoráks feiner Stimmensatz dennoch in alle Feinheiten hinein, die rhythmische Eleganz im kristallhaft funkelnden Scherzo nimmt schließlich vollends für sich ein. Eine ebenso elegant-liebevolle Wiedergabe des Streichquintettes op. 77 rundet diese starke Aufnahme ab.
Seit über dreißig Jahren steht der Name Scharoun-Ensemble Berlin für kammermusikalische Präzision – und Neugier.
Das Ensemble setzt sich mehr oder minder komplett aus Mitgliedern der Berliner Philharmoniker zusammen und hat eine Oktett-Formation als Kern. Von Bach bis zur unmittelbaren Gegenwart reicht das Repertoire, wobei der Schwerpunkt durchaus auf dem Neuen und Ausgefallenen liegt.
Jetzt haben Mitglieder des Scharoun-Ensembles in einer Koproduktion des rbb mit dem Schweizer Label TUDOR eine CD mit Werken von Antonín Dvořák herausgebracht. Diese Neuerscheinung beinhaltet die Bagatellen op. 47, das Terzetto op. 74 und das Streichquintett op. 77.
Musik für Amateure
Wolfram Brandl ist erster Geiger des Scharoun-Ensembles und maßgeblich an der Aufnahme mit Dvořák-Stücken beteiligt – er genießt es hörbar, bei Dvořáks Musik ins Volle greifen zu können, wenn die herrllich dankbaren Melodien an- und abschwellen.
Neben dem Streichquintett aus der mittleren Schaffensphase des Komponisten sind auf der CD zwei ausgefallene Werke vertreten, in exquisiter Besetzung: Das Terzetto für zwei Geigen und eine Bratsche und die Bagatellen für zwei Geigen, Cello und Harmonium.
Diese Musik hatte Dvořák nicht unbedingt für Profis gedacht, sondern für die Hausmusik seiner Bekannten und Freunde, für Laien also, Amateure, Dilettanten.
Es kann ja bisweilen ein wenig problematisch klingen, wenn hervorragende Profimusiker Werke spielen, die eigentlich für Laien oder Kinder entstanden sind. Doch das ist die besondere Qualität der Musik Antonín Dvořáks: Sie klingt bestechend klar und verständlich, ohne sich anzubiedern – wenn sie so liebevoll und detailgenau gespielt wird wie hier von Wolfram Brandl und seinen Kollegen.
Mit Hingabe ergründet
In den drei Stücken dieser CD tritt uns ein Antonín Dvořák gegenüber, der gerade seinen eigenen Stil zu finden beginnt, der all das, was er der Wiener Klassik und der deutschen Romantik abgelauscht hat, in seine eigene, stolze tschechische Sprache zu übersetzen beginnt.
Dabei besaß er nicht nur eine geniale Erfindungskraft, was Melodien und Rhythmen angeht, sondern auch geradezu impressionistische Klangvorstellungen. Die hat das Scharoun-Ensemble mit Hingabe ergründet und die Bagatellen in der charmanten Originalversion mit Harmonium eingespielt. Das wirkt dann melancholisch, wie Brandl meint, oder auch skurril und aus der Zeit gefallen.
Die Mitglieder des Scharoun-Ensembles finden hier wie auch in den anderen beiden Dvořák-Stücken den richtigen Ton. Sie haben sich eingehend mit dieser Liebhabermusik und dem Quintett des stilsuchenden Komponisten beschäftigt.
Dabei haben sie viele Dinge ausprobiert und schließlich eine kluge Balance gefunden zwischen Virtuosität und Schlichtheit. Auch in dem Terzett für zwei Geigen und Bratsche, das eigentlich ein Trio ist und das Dvořák für sich selbst als Bratscher komponiert hat.
Facettenreich und spannend
Regelrecht sinfonische Dimensionen erreicht Dvořák im Streichquintett op. 77. Das zeigt besonders deutlich seine musikalischen Wurzeln und seine Experimentierfreude. Dessen Anfang lässt das Scharoun-Ensemble geheimnisvoll wagnerianisch wabern.
Facettenreich und spannend gestaltet es dann die komplexen Durchführungen und stellt besonders die Tanz- und Spielfreude der Mittelsätze heraus. Selbst in diesem Stück sieht Dvořák eine spezielle Klangfarbe vor, nämlich einen Kontrabass. Der sei eben “wie ein guter Bass in einer guten Band” zu spielen, sagt Wolfram Brandl. Peter Riegelbauer heißt auf dieser CD der Bassist, der “Quasi-Schlagzeuger” – und die gute Band ist eindeutig das Scharoun-Ensemble.
Dvořák komponierte die Bagatellen op. 74 im Jahr 1878 für einen Hausmusikzirkel in Prag, der sich regelmäßig jeden Mittwoch traf und bei dem er selbst die Bratsche spielte. Der Cellist dieses Freundeskreises, ein Musikschriftsteller, stellte seine Wohnung zur Verfügung, aber er besaß kein Klavier, sondern nur ein Harmonium. Und so komponierte Dvořák also ein Quartett für drei Streicher und Harmonium. Er behandelt das Instrument nicht als Klavierersatz, sondern idiomatisch:
Mal klingt das wie ein Akkordeon, mal wie eine Orgel, mal wieder wie ein ganzer Bläsersatz. Und Dvořák bestand darauf, dass, als dieses Werk bei Simrock in Druck erschien, das Klavier nur ersatzweise ad libitum aufgeführt wurde, im Falle, dass man gerade kein Harmonium zur Hand hatte.
Der Sound dieser Quartettmusik, der uns heute exotisch vorkommen mag, war im 19. Jahrhundert allerdings noch vertraut. Das Harmonium hatte hohe Konjunktur als ein Instrument der Hausmusikkultur. Rossini vertraute ihm ernsthafte Aufgaben an, Camille Saint-Saens, Max Reger und viele andere schrieben Originalkompositionen für Harmonium. Erst als mit Erfindung der Tonaufzeichnung die Hausmusik so nach und nach aus der Mode kam, also erst im frühen 20. Jahrhundert, stieg dieses Instrument ab ins musikalische Souterrain und verwandelte sich in eine komische, bigotte, alte Tante.
Vergleichsweise normal besetzt ist das Terzett op. 74 für zwei Violinen und Bratsche, das Dvořák neun Jahre später komponierte, diesmal nicht für seine lieben Prager Hausmusikspezis, was man schon daran merken kann, dass es spieltechnisch für Laienmusiker ziemlich anspruchsvoll ist.
Das Album mit Kammermusik von Antonín Dvořák hat freilich ein Herzstück: Und das ist das dunkel timbrierte Streichquintett G-Dur op. 77 mit dem Bassfundament, darin statt des zweiten Cellos ein Kontrabass spielt. Entstanden 1888, ein Jahr nach dem Terzett, hat auch dieses viersätzige Werk einen Scherzo-Satz, in dem das böhmische Musikantentum zu sich selbst findet. Es sind ja immer die Scherzi bei Dvořák, in denen die Volkslieder weitergeträumt werden und in denen das Tanzbein zuckt.
Das Scharoun Ensemble trägt nicht umsonst den Namen von Hans Scharoun, dem Architekten der Berliner Philharmonie. Schon seit 1983 spielt diese Kammermusikformation zusammen, die sich aus Berliner Philharmonikern zusammensetzt, was eine unvergleichlich hohe Kultur des Zusammenspiels garantiert. Natürlich spielen sie in immer wechselnder Besetzung, je nach den Werken; und neben dem Kontrabassisten Peter Riegelbauer, der schon seit 1981 bei den Berliner Philharmonikern ist und noch neun Jahre unter Karajan gespielt hat, wachsen außerdem auch immer neue, junge Philharmoniker nach – wie zum Beispiel der famose junge Bratscher Micha Afkham, Absolvent der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker. Die hohe Musizierqualität dieses ad hoc-Ensembles macht aus jedem einzelnen Werk dieses Album eine Preziose.
Ein Juwel zum Finale der GVE-Saison
Das Scharoun Ensemble begeisterte das Publikum mit selten zu hörender Einheit
Mit einem wunderbaren Konzert des Scharoun Ensembles ist die Spielzeit des Gemeinnützigen Theater- und Konzert-Vereins Erlangen zu Ende gegangen. Kleiner Trost vor der Sommerpause: Das GVE-Programm für 2015/2016 wartet wieder mit vielen spannenden Veranstaltungen und bekannten Namen auf.
Liebe Freunde der klassischen Musik, eines steht nach dem Saisonabschlusskonzert des GVE fest: der Sommer wird lang! Es stellt sich nur noch eine Frage: wie sollen wir ihn ohne GVE-Konzerte überstehen?
Der älteste Erlanger Kulturverein hatte die Kernbesetzung des Scharoun Ensembles eingeladen, einer Gemeinschaft von Mitgliedern der weltberühmten Berliner Philharmoniker, die sich nach dem Architekten des seinerzeit spektakulären Konzertsaals der Philharmonie in Berlin benannt haben und die neben der Arbeit im Orchester ihr Können und Wissen auch im kammermusikalischen Bereich offenbaren.
Die fünf Streicher, Wolfram Brandl und Rachel Schmidt (Violine), Micha Afkham (Viola), Richard Duven (Violoncello), Peter Riegelbauer (Kontrabass) und drei Bläser mit Alexander Bader (Klarinette), Markus Weidmann (Fagott) und Stefan de Leval Jezierski (Horn) kennen das Geheimnis der Steigerung. So eröffnen Brandl, Afkham und Duven mit Franz Schuberts Fragment gebliebenem, nur aus einem Allegro bestehenden Streichtrio B-Dur D 471 den Abend. Spontan verzaubern sie mit berückend weichem Ton, mit wohltuender innerer Ruhe. Tritt ein Instrument in den Vordergrund, verbleiben die beiden anderen in einer selten zu hörenden Einheit. Ätherisch, ohne kraftlos zu wirken, überreichen sie dem Publikum das kleine Juwel.
Überzeugende Klangsinnlichkeit
Bei Hans Werner Henzes „Quattro Fantasie” fächert das nun vollzählige Oktett das komplette Spektrum an Klangsinnlichkeit auf in weichen, tief melancholischen Streicherklängen, aber auch stark akzentuierten Passagen. Sehr virtuos und von schillernder Farbigkeit sind die Bläsersoli, wobei besonders die Pianissimo-Stellen des Horns von makelloser Ansatztechnik und meisterhafter Atemtechnik zeugen. Mit fühlbarer Hingabe und Freude am Zusammenspiel boten die Musiker des Scharoun-Ensembles dieses Werk aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts dar.
Was aber ultimatives Ensemble-Musizieren und ehrliche Spielfreude wirklich bedeuten, durften die Zuhörer beim großen Oktett F-Dur D 809 (op. 166) erleben. In diesem fast schon sinfonische Dimensionen erreichenden Werk entdecken die Musiker ganze Welten der Musik, von denen sie in brillanten Geigen-Soli, mit singendem Fagott und einem Bass, der seine Begleitung so ambitioniert wie ein Solo gestaltet, erzählen. Gemeinsam greifen Violine, Cello und Klarinette nach den Herzen der mittlerweile atemlos lauschenden Zuhörer, die längst von dem unheimlichen Flirren aus technischem Können und geradezu symbiotischem Zusammenspiel hingerissen sind. Jeder dieser acht Meister ist ein natürlicher Bestandteil des musikalischen Entstehens, und sie erreichen zusammen eine Spontaneität und Losgelöstheit, die mehr an Improvisation als an Reproduktion glauben lässt. Großartig, wie sie im großen Finalsatz aus d! er gruseligen Tremolo-Eröffnung einen wonnigen Springtanz zaubern.
Man hatte den Eindruck, dass erst der begeisterte Applaus den Musikern bewusst machte, dass sie gar nicht alleine waren…
Das Scharoun Ensemble in Zürich – Heimliche Abgründe
Wie das Scharoun Ensemble Berlin grösste Wirkung aus dem genauen Masshalten in allen musikalischen Dimensionen schöpfte, verdiente den Jubel im Kleinen Saal der Zürcher Tonhalle.
Homogen in Klang und Agogik, sorgsam dem Notentext verpflichtet und gerade dadurch ungemein lebendig und insbesondere dynamisch hoch differenziert, durchschritten die acht Musiker Schuberts Oktett von der Innigkeit des Adagio bis zur sinfonischen Dichte des in zügigem Allabreve genommenen Finales. Ähnlich gingen sie an Hans Werner Henzes «Quattro Fantasie» für dieselbe Besetzung heran; ganz so frei strömen wollte das Melos hier jedoch nicht. Fast beschlich einen der Verdacht, der alte Kinderkniff, zuerst die Beilage zu essen, habe das Werk kurzfristig an den Programmbeginn rücken lassen.
Was für eine Delikatesse aber, die darauf folgte: In Schuberts Triosatz D 471 offenbarten die drei Streicher eine Verständnistiefe, die hörend deswegen zu ermessen war, weil es ihnen gelang, dieses Verständnis zugleich zu vermitteln. Plastisch wurde die Rolle motorischer Figuren und floskelhafter Vokabeln innerhalb von Schuberts fragiler Dramaturgie zwischen Stocken und Fliessen. Und subtil modellierten sie die feinen Irritationen: die kleine Ratlosigkeit am Schluss zum Beispiel, in der sich noch einmal für einen Augenblick ein Abgrund öffnet, eben nur einen Augenblick lang – deutlich, aber mit der ganzen Unheimlichkeit des Unscheinbaren. Diese gestalterische Sorgfalt zeichnete das Oktett ebenso aus. Sie schien auch das Verdienst Wolfram Brandls zu sein, der sich darin – nie hingegen durch klangliche Dominanz – als echter Primarius erwies. Aber auch die Bassstimmen bereiteten musikalische Glücksmomente, so in der Coda des Adagio, wo die Streicher nach festem Boden tasten und ins Leere eines Fortissimo-Bass-Nachschlags tappen wie in der Kindheitsfurcht, dass im Dunkeln plötzlich die unterste Sprosse der Stockbettleiter fehle.
Trompetenengel
Gegenwart seit 30 Jahren: Das Scharoun-Ensemble
Aus dem Kind Alexander Goehr, das 1932 in Berlin geboren wurde, ist ein englischer Komponist geworden. Sein Vater Walter Goehr, Dirigent und Meisterschüler Schönbergs, verlor seine Stelle beim Berliner Rundfunk, weil er Jude war. Ihm gelang es 1933, mit der Familie nach London zu emigrieren. Der Sohn wächst im Land Brittens und Tip- petts auf, arbeitet mit Birtwistle, lehrt in Cambridge.
“Seit längerem widmen wir uns Komponisten, die in der Nazi-Zeit ihre Heimat verlassen mussten”, sagt Cellist Richard Duven vom Scharoun Ensemble. Nun feiert die Gruppe, der vornehmlich Berliner Philharmoniker angehören, 30. Geburtstag im Kammermusiksaal. Eine lange Erfolgsgeschichte mit viel Engagement für neue Musik. Zwei Gründungsmitglieder (Peter Riegelbauer, Stefan de Leval Jezierski) sind noch im Stammensemble, das je nach Bedarf um
Zusatzinstrumente erweitert wird. Und da die Musiker nicht kleinmütig sind, haben sie sich als Namenspatron Hans Scharoun gewählt, den Baumeister der Philharmonie mit ihrer organischen Architektur. Das Jubiläumsprogramm fesselt mit einem erlesenen Programm, da es heterogene jüdische Schicksale musikalisch reflektiert. V on Egon W ellesz, österreichisch-britischer Komponist, erklingt in der Kammerfassung ein “Persisches Ballett”, 20er-Jahre-Stück im Idiom des Schönberg-Schülers, spritzig, archaisch, klangvoll, angeführt von Wolfram Brandl (Violine) und Andreas Blau (Flöte). Die spannende Interpretation mit drei Schlagzeugern verdankt sich nicht zuletzt dem Dirigenten Duncan Ward. Stefan Wolpe war ein US-amerikanischer Komponist deutscher Herkunft. Seinem “Piece for Trumpet and Seven Instruments” (1971) ist anzuhören, dass er, Mitglied der Berliner “Novembergruppe”, einst mit Stuckenschmidt Schlager in atonaler Harmonik komponierte. Die Solistin Tine Thing Helseth siegt als Trompetenengel.
In Anwesenheit des Komponisten Alexander Goehr wird “… zwischen den Zeilen” uraufgeführt. Die “Kammersymphonie” für elf Spieler, Auftragswerk der Berliner Philharmoniker, leitet den Komponisten “in unerwartete Richtungen”: Vorbild Schönberg, Farben, Streicher unisono, dynamische Kontraste zu einer Tuba (Elliot Dushman), die singt. Mit dem Septett Beethovens, einem Klassiker des Ensembles, darf es sich in der Gunst des Publikums sonnen. Klarinette (Alexander Bader) und Violine träumen im Adagio. Temperamentvoll und leise steht die Aufführung dafür ein, dass sich aus Konzentration eine sublime Leichtigkeit ergibt.
Alpensymphonie
Seit zehn Jahren kümmert sich das Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker in einem kleinen autofreien Dorf im Oberwallis um den internationalen Musikernachwuchs. Ein Besuch bei der Zermatt Festival Academy, der schönstgelegenen Orchesterakademie der Welt
Anna von Lüneburg ist blond, Mutter dreier Kinder und auf eine Weise deutsch, unzimperlich und direkt, mit der die Menschen im Oberwallis gut umgehen können. “Bei uns gibt es keinen Shuttle-Service oder Limousinendienst”, erklärt die Leiterin der Zermatt Festival Academy vergnügt, “alle fahren mit derselben Bimmelbahn hier hin- auf.” Was auf freundliche Weise so viel bedeutet wie: keine Privilegien, für niemanden. Jeder, der nach Zermatt will, auf 1600 Meter über dem Meer, erfährt das am eigenen Leib: Elend langsam tuckert das Bähnchen das enge und immer enger werdende Tal hinauf in den autofreien Ort. Manchmal sind die schroffen Felswände links und rechts zum Greifen nah. Touristen recken ihre Oberkörper aus den Fenstern und knipsen sich die Finger wund. Die meisten von ihnen dürften das Objekt der allgemeinen Begierde, das Matterhorn, nur von Postkarten her kennen oder aus der Werbung; mich als gebürtige Schweizerin hat es als Signet auf meiner Carand’Ache-Buntstiftschachtel immerhin durch die ganze Grundschulzeit hin- durch begleitet. Gestochen scharf zeichnet sich dort der spitze Gipfel gegen einen strahlend blauen Himmel ab und bietet den Kühen, die zwischen morschen Almhütten und himbeerroten Alpenrosen weiden, eine geradezu unverschämt idyllische Kulisse. Ein Klischee, das sitzt. Als ich nun in Zermatt ankomme und selber nach dem berühmten Horn Ausschau halte, blicke ich allerdings ins Graue. “Da ist es”, sagt Anna von Lüneburg, während wir auf der Hotelterrasse Tee trinken, und wischt mit der rechten Hand in Richtung einer kompakten Wolkenwand. “Manchmal ist es hier ein bisschen verhangen, aber das verzieht sich meist schnell wieder. Vor einer Stunde war das Matterhorn noch klar zusehen.” Ich bin beruhigt. Die Akademie ist das Herz des Zermatt Festivals. Die Idee dazu hatte das Berliner Scharoun Ensemble, das hier seit zehn Jahren zwei Wochen lang im September rund 30 ausgewählten Nachwuchsmusikern so etwas wie den letzten Schliff verpasst. Nach dem Eröffnungswochenende bestreiten die Akademisten unter der Leitung des Ensembles das gesamte Programm des Festivals – als Zermatt Festival Orchestra oder auch in kleinen Kammermusikformationen. Die meisten der jungen Musiker befinden sich in der heiklen Übergangsphase zwischen Studium und Beruf, viele von ihnen träumen davon, eines Tages auf einer der wenigen heiß begehrten Stellen in einem internationalen Spitzenorchester zu landen. Und von wem könnte man besser lernen, was Exzellenz ausmacht, als von namhaften Solisten der Berliner Philharmoniker, aus denen sich das Scharoun Ensemble zusammensetzt? Dass dieses Lernen nicht nur aus Unterrichtsstunden, sondern vor allem aus dem gemeinsamen Musizieren mit den Dozenten besteht, gehört zu den Schlüsselprivilegien der Akademie. So rar deren Plätze sind, so sehr profitieren die Teilnehmer. “Jeder Akademist, der gut ist, wird ein zweites Mal eingeladen”, erzählt Anna von Lüneburg. “Den Dozenten ist es wichtig, die jungen Musiker intensiv zu begleiten. Auch nach der Zeit in Zermatt bleiben sie oft ihre Mentoren.” Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Orchesterakademien gibt es wie Sand am Meer. Die Zermatt Festival Academy ist trotzdem einzigartig, denn die Mitglieder des Scharoun Ensembles geben hier etwas weiter, was durch nichts anderes ersetzt werden kann: ihre dreißigjährige Erfahrung als Orchester- und Kammermusiker. Orchesterwerke aus dem Geist der Kammermusik spielen heißt ja vor allem: aufeinander hören. Deshalb wird das Zermatt Festival Orchestra meist auch nicht von einem Dirigenten, sondern vom Konzertmeister oder einem Solisten geleitet. So erhält der Einzelne mehr Verantwortung, und selbst der hinterste Tuttist spielt mit solistischem Selbstverständnis. Was das bewirkt, ist an einem Abend in der Pfarreikirche von Zermatt zu erleben. Die Akademisten sitzen buchstäblich auf den Stuhlkanten. Mendelssohns dritte Sinfonie glüht nur so vor Intensität und Spielfreude, und in Brahms’ Violinkonzert meint man, jeder einzelne Musiker trete mit dem Geiger Guy Braunstein persönlich in einen Dialog. Braucht es vielleicht die Abgeschiedenheit, das Alpenglück, die Bilderbuchidylle unterm Matterhorn, um solche Musik machen zu können? Man kommt schwer hin nach Zermatt und schwer wieder weg, wie gesagt, und ist man einmal da, fühlt man sich vom Rest der Weltwirklichkeit wie abgenabelt. Ein krasser Gegenentwurf zu unserer mobilen, vernetzten, hybriden Realität. “Das Schöne ist die absolute Konzentration”, findet Peter Riegelbauer, der Kontrabassist des Scharoun Ensembles, “und wenn man diese andere Welt dann nach zwei Wochen wieder verlässt, ist es oft wie ein Schock.” Nach einem Konzert, das Ensemblemitglieder vor elf Jahren in der Kapelle auf der Riffelalp ober- halb von Zermatt spielten, war ihnen klar: Sie waren im verlorenen Paradies gelandet. Der Plan einer Orchesterakademie lag schon lange bei ihnen in der Schublade. Nun war endlich auch der passende Ort dazu gefunden. Aber eine Kapelle über der Baumgrenze bot sich für ein 40-köpfiges Orchester kaum wirklich an. Also stieg man hinunter ins Dorf und gründete das Zermatt Festival. Diesen Sommer feiert es sein zehnjähriges Bestehen. “In der Natur zu sein öffnet einem andere Perspektiven auf die Dinge”, schwärmt Riegelbauer. “Die Naturgewalten, die Weiten, die Engen, die Wetterumschwünge – das nimmt alles Einfluss auf unser Seelenleben und somit auch auf die Musik, die wir machen und hören.” Doch so laut der Berg auch rufen mag – viel Zeit zum Wandern und Genießen bleibt den Akademisten und Dozenten nicht. Sie proben meist den ganzen Tag, oft bis spät in die Nacht. Alle Proben sind offen für Besucher. Wer in Zermatt nicht bergsteigen oder Wellness treiben möchte, kann in zwei Wochen also praktisch rund um die Uhr Kammermusik auf höchstem Niveau hören. In ganz legerem, familiärem Rahmen. Und darin liegt auch ein großer Reiz dieses kleinen Festivals, das trotz vieler namhafter Solisten, die jedes Jahr hier zu Gast sind, eher unscheinbar daherkommt. Die Prioritäten sind klar: Hier geht es um Qualität und darum, Musik ganz ohne PR-Schnickschnack zu präsentieren. Darauf würde man auch in vielen Metropolen gerne verzichten. Die Tradition der Riffelalpkonzerte hat das Scharoun Ensemble übrigens beibehalten. Dazu geht es am nächsten Morgen mit der Gornergratbahn hinauf zum “höchstgelegenen Konzertsaal Europas” auf 2222 Meter. Noch immer schmollt das Matterhorn hinter dicken Wolken. Dem Konzert in der Kapelle lauschen an die 100 Leute, in Wander- oder Alltagsbekleidung. Wer sich in Brittens Phantasy Quartet in Jonathan Kellys suggestiv schwebendem Oboenklang verliert, mag kaum glauben, dass die Höhe für Holzbläser handfeste Tücken birgt. “Die Trockenheit und Luftdruckverhältnisse setzen den Holzplättchen mächtig zu”, erklärt der Scharoun-Klarinettist Alexander Bader. “Das Schwingungsverhalten ist total anders. Die Rohre, die man hier oben spielt, kann man in Berlin gleich in die Mülltonne schmeißen. Da kommt kein einziger Ton mehr heraus. Das ist eigentlich nur noch mit Mexico City vergleichbar, das liegt noch höher.” Die Strapazen des Hochgebirges aber können der euphorischen Stimmung in der Academy nichts anhaben, im Gegenteil. Bader sieht darin sogar einen Spiegel des Musikmachens: “Die Impressionen, die man beim Wandern sammelt, auch die Anstrengungen, all das lässt sich wirklich auf das Instrument übertragen. Einen Gipfel zu erklimmen kostet Kraft, aber wenn man es geschafft hat, wird aus der Erschöpfung Erfüllung.” Ein bisschen peinlich ist es Anna von Lüneburg am Ende aber doch. “Es existiert wirklich”, versichert sie mir beim Abschied mit gespielter Verzweiflung. Ich werfe nach zwei Tagen einen letzten Blick auf den Wolkenhaufen, der das Matterhorn, den Berg aller Berge, fest verpackt hält, bevor mich das rote Schmalspurbähnli wieder ins Tal befördert.
Scharoun Ensemble Berlin takes a classical approach to music at the VPAC
In an unusually intimate setting, the audience was seated on the main stage with the Scharoun Ensemble Berlin Sunday night at the Valley Performing Arts Center for what turned out to be a mesmerizing performance.
The Scharoun Ensemble was founded by the Berlin Philharmonic Orchestra and is one of Germany’s renowned chamber music organizations. They are praised for their mastery of romantic chamber music, performing pieces from the Baroque period with contemporary flair. The classical octet kept the audience captivated with the clarinet, bassoon, horn, two violins, viola, cello and double bass. In a performance inspired by Johannes Brahms and Beethoven, the Scharoun Ensemble played every instrument with eloquence and passion. In its first set, the Scharoun Ensemble played compositions by Brahms which included “Allegro,” “Adagio,” “Andantino” and “Con Moto.” The soft tones of the clarinet charmed the audience with its earthy and warm sound. The string instruments, in particular the cello, had listeners swaying their heads each time a chord was struck. The second half of the set was a Beethoven medley. The series was a striking performance with noted from the viola, horn and bassoon. The classical octet played with more zest allowing not only the string instruments to shine, but for every single instrument to leave its individual mark on the stage. The Scharoun Ensemble Berlin gave a contemporary nod to classical chamber music, which left the audience, who gave a standing ovation suited for an outstanding performance, in awe.
Scharoun Ensemble Berlin plays Schubert with polish at Library of Congress
Schubert’s “Octet,” D. 803, is a piece that one does not hear live all that often. It is written for an unusual instrumentation — five strings, horn, bassoon and clarinet — for which few other composers have composed. The Scharoun Ensemble Berlin, composed of musicians from the Berlin Philharmonic, is in the midst of a U.S. tour, and they performed the “Octet” at a concert on Saturday afternoon at the Library of Congress.This piece is the group’s signature work, performed at its public debut in 1983, and its selection of eight instruments determined the group’s core membership. Schubert gave us about an hour of music in the “Octet,” with two complete slow movements and two dance movements with trios, enough music to justify getting such an unusual ensemble together.The musicians savored the many textures found in it, playing with impeccable intonation and technical polish, from the tense introduction to its dramatic finish. First violin and clarinet delicately wove their intertwined lines together in the second movement, and the horn playing was generally superb, with just the right amount of sound. (A couple of clams in the first movement proved a surprising exception.) To have another work for the same forces required an arrangement, by Ulf-Guido Schäfer, of Dvorak’s “Czech Suite,” originally composed for chamber orchestra. It worked beautifully as an octet, from its amiable first movement, with a walking motif oscillating in the bass parts, through its series of Czech dances, and ending with a zesty furiant. When the second violinist did not return to the stage for the final curtain call, it was a good guess that Beethoven’s septet was the encore, and that work’s delightful minuet closed out the afternoon in a refined way. Ach, Italien: Das Scharoun Ensemble gedenkt Hans Werner Henzes 27.9.2013, Berliner Tagesspiegel, Udo Badelt Jetzt, da der Sommer vor der Zeit einem gefühlten Frühwinter Platz gemacht hat, wärmt das Innere der St. Matthäuskirche am Kulturforum auch nicht mehr. Fest im Glauben muss schon sein, wer aus der gewollten Nacktheit der Mauern Kraft ziehen kann. Dann fängt es auch noch von irgendwoher zu ziehen an. Frösteln. Hans Werner Henze hilft da mehr. Vor fast einem Jahr ist er gestorben, jetzt hat ihm das Scharoun Ensemble, für das er viel komponiert hat, zum Auftakt der Reihe „Matthäusmusik“ ein Gedenkkonzert gewidmet. Verlegerin Christiane Krautscheid und Henzes Lebenspartner Michael Kerstan erläutern die Stücke im Gespräch. Pastorale, Morgenlied, Ballade: Aus den „Neuen Volksliedern und Hirtengesängen“ für Fagott, Gitarre und Streichtrio von 1983 spricht eine jahrzehntelange Vertrautheit mit der musikalischen Tradition und Landschaft Italiens, wo Henze seit 1953 lebte. Aber auch die viel früher entstandene „Kammermusik 1958“ erzählt mit jeder Note, jeder angeschärften Harmonie von mediterraner Gelassenheit, von der Sehnsucht nach praller Sinnlichkeit und Schönheit, mit der Henze bei der Avantgarde so katastrophal abgeblitzt war. Stockhausen und Nono hatten einst in Darmstadt den Raum verlassen, als seine „Nachtstücke und Arien“ nach Bachmann-Texten aufgeführt wurden. Die „Kammermusik 1958“ ist auch eine Reaktion darauf. Geschliffen und ausbalanciert, mit heiliger Hingabe spielt das Scharoun Ensemble die 12 Stücke, poetisch vor allem die Gitarre von Jürgen Ruck, zu der sich Andrew Staples’ lyrischer Tenor beim Hölderlin-Text „In lieblicher Bläue“ zum Dachstuhl der Kirche emporschwingt. Mit der letzten Nummer, Adagio (Epilogo), verdämmert alles in Stille. Auch durch Italien können Nebel ziehen.
Jaulende Winde: Das Scharoun Ensemble in der Matthäuskirche
Das Scharoun Ensemble ist ein Global Player: Die Mitglieder der Berliner Philharmoniker laden zu ihrem eigenen Festival vor schneebedeckten Gipfeln nach Zermatt, sie residieren jedes Jahr bei der American Academy in Rom, sie gastieren in der ganzen Welt. Aber der Name ihrer Formation verpflichtet auch. Inmitten von Hans Scharouns unvollendetem Kulturforum steht die St. Matthäuskirche, als Ort für Austausch zwischen Kunst und Glauben gedacht. In dem lichten Schiff, das wie durch Bullaugen immer wieder Ausblicke auf die Schatzkammern der Staatsbibliothek und der Gemäldegalerie gewährt, gestaltet das Scharoun Ensemble eine Konzertreihe. Deren zweites Jahr ging nun mit einem Benefizkonzert zu Ende, das Zugang ermöglichen will, mit einem Lift für Rollstuhlfahrer an der Sakristei. Aus Rom hat das Scharoun Ensemble Werke mitgebracht, die ihm junge amerikanische Komponisten auf die Finger geschrieben haben. Anthony Cheung und Jesse Jones sind auch vor Ort und dirigieren ihre Stücke, in denen überraschend viele Glissandi an das Jaulen altersschwacher Sirenen oder den Wind über Ostia erinnern. Eine Suite feinster französischer Kammermusikware erinnert an den eleganten, zugleich etwas morbiden Charme von Zermatt. Aus den Gelegenheitsarbeiten von Debussy und Ravel bergen die Scharouns ein Funkeln vor dunklem Grund, überglänzt von Marie-Pierre Langlemets magischer Harfe. Gerd Wameling rezitiert mit wachsender Erregung Poes Erzählung „Die Maske des roten Todes”, das André Caplet zu einer Fantasie des Zitterns und Zagens anregte. Erst unter nachtblauem Himmel, das Weinglas in der Hand, sortieren sich langsam die widerstreitenden Konzertzutaten.
Beethovens feine Fäden
Das Scharoun Ensemble im Münchner Herkulessaal
Berliner Philharmonikern begegnet der Musikfreund in München nur selten. Am Montag konnte er zumindest eine kleine, feine Abordnung, das 1983 gegründete Scharoun Ensemble, im dicht besetzten Herkulessaal erleben. Mit jenen zwei nicht allzu oft live präsentierten Werken, die am Anfang der Geschichte dieses in unterschiedlichsten Formationen auftretenden Ensembles standen: Beethovens Septett op. 20 und Schuberts Oktett op. 166. Beethovens Stück für Violine, Bratsche, Cello, Kontrabass, Klarinette, Fagott und Hörn atmet noch den Geist Mozart’scher Divertimenti. Es inspirierte die Berliner zum genau ausgehorchten Miteinandertonschön und kantabel. Samtweich, eröffnete die Klarinette das Adagio, und die Violine träumte weiter, bis alle zusammen ein feinfädiges, duftiges Satzgewebe spönnen. Ob im Menuett oder im Scherzo: Die sieben Musiker bauten auf ihre vorzügliche Feinabstimmung im Rhythmischen wie in der Klangbalance und leuchteten den Variationensatz dynamisch abwechslungsreich aus. Schubert, der bei seinem 1824 entstandenen Oktett ganz auf Beethovens Spuren wandelt, stockte die Besetzung mit einer zweiten Geige auf und wagte sich als Romantiker in tiefere emotionale Schichten. Das Scharoun Ensemble nutzte die Chance zu orchestralem Wohlklang, bewegte sich souverän durch die kontrapunktischen Passagen und achtete auf Binnenspannung und dynamische Fein-zeichnung. Ob ein; beseelter, verinnerlichter Ton von Klarinette und Violine, die Geschmeidigkeit von Hörn, Cello und Bratsche oder die kecke Präsenz von Fagott und Kontrabass gefragt waren – auf das Scharoun Ensemble war Verlass.
Ein kleines Hörwunder
Das Berliner „Scharoun Ensemble” begeistert mit sprühender Vitalität
Polling – Die sechs Sätze von Ludwig van Beethovens so populärem Septett für Klarinette, Fagott, Hörn und jeweils einem Vertreter der Streicherfamilie op. 20 geben nachgerade lehrbuchmäßig einen Überblick über die während der Wiener Klassik gängigen Formteile. Ob langsame Einleitung in den Sonatenhauptsatz mündend, tiefsinniges Adagio, Tanzsatz-Typen in Form von leichtfüßigem Menuett und seinerzeit modernem Scherzo oder fantasievolle Variationskunst, man schwelgt im vollen Hörerglück. Was am Sonntagabend im Pollinger Bibliotheksaal allerdings nicht nur der wunderbaren, nicht allzu oft erlebbaren Kammermusik des in Bonn geborenen Genius zu verdanken war. sondern durch die Interpretation des „Scharoun Ensembles” bis zur Vollendung gebracht wurde. Benannt nach dem Architekten der Berliner Philharmonie, Hans Scharoun, musiziert das mit Bläser- und Streichersolisten in den verschiedensten Formationen besetzte Ensemble mit internationalem Erfolg auf sein 30-jähriges Bestehen im kommenden Jahr zu. Dem Ruf, der diesen Mitgliedern der Berliner Philharmoniker vorauseilt, werden sie auch in Polling gerecht. Erwartet hatte man also einen besonderen Abend, geschenkt bekam mäh ein kleines Hörwunder. Jede Note auf die musikalische Goldwaage gelegt, tupfen die sieben Künstler schmeichelnde Farben in den Saal, flirten mit den eingängigen Melodien, haucht die Klarinette im Adagio eine berückende Sehnsucht in die Seele. Satt und rund klingt der Ensemble-Sound im Menuette Mit selbst in Bruchteilen von Sekunden zugewandter, nicht voneinander lassender Aufmerksamkeit weben Klarinette und Fagott kleine Rubati ein, zupft der geniale Kontrabassist Peter Riegelbauer für seine traumwandlerisch sicheren Kollegen ein Blütenmeer als Teppich. Auch der Variationssatz zeigt, hier gibt es keinen Plauderton. hier hat man sich Substanzielles mitzuteilen. Der Trialog zwischen Violine, Bratsche und Cello gerät erlesen höflich und stets am Thema des anderen mit höchster Anteilnahme interessiert. Gepfeffert und doch federleicht, mit sich in purer Leichtigkeit auflösenden Übergängen – wie etwa nach der Kadenz des stets brillierenden, aber nie exaltierten Geigers Wolfram Brandl – präsentiert man das Schluss-Presto. Wie in kleinste Verästelungen differenziert das nach der Pause um eine zweite Violine ergänzte „Scharoun Ensemble” arbeitet, zeigt es ebenfalls in dem knapp 25 Jahre später (1824) komponierten Oktett von Franz Schubert. Zwischen Serenade und sinfonischen Elementen hin und her schwingend, bestechend in der Gesamtlinie, selbstvergessen hingegeben an diese geniale Kammermusik, fließen die langsamen Sätze wie goldgelber Honig. Als hüte man ein kostbares Geheimnis, dessen Wahrheit man von einem Instrument zum anderen reicht, teilen sich Bläser und Streicher das Opus 166 auf. Mit sprühender Vitalität und begeisterter Spielfreude, abhebenden Crescendi, „Tatorte-Spannung erzeugenden Tremoli greift man auf das kammermusikalische Meisterwerk zu. Jubel am Ende, selbst fremde Konzertbesucher lächeln sich an diesem Konzertabend einander zu.
Das Scharoun Ensemble spielt Beethovens Septett
Abfällig äußert sich Ludwig van Beethoven über sein eigenes Septett op. 20 und auch zum Bläsersextett op. 71. Das Sextett, das er schon während der Bonner Zeit angefangen hatte, wechselte er in einem Tauschgeschäft mit seinem Verlag gegen einige Bände von Goethe und Schiller ein und warnte in einem Begleitbrief davor, dass es „von meinen frühen Sachen” sei und „noch dazu in einer Nacht geschrieben”. Das Septett andererseits wurde vom Publikum so beliebt, dass es Beethoven auch wieder nicht recht war. Er könnte das Stück nicht leiden, schrieb sein Schüler Carl Czerny und erklärte Beethovens Reaktion so: Er habe sich über den „allgemeinen Beifall, das es erhielt”, stets geärgert. Insofern könnte sich Beethoven freuen, wenn er wüsste, was für eine schöne, behutsame und seziermessergenaue Aufnahme dieser beiden Stücke jetzt das Scharoun Ensemble Berlin vorgelegt hat, gemeinsam mit dem Klarinettisten Gaspare Vittorio Buonomano, der Hornistin Sarah Willis und dem Fagottisten Henning Trog. Elegant schwebt der erste Satz des Septetts ein, Adagio mit allegro con brio, das vor Aufregung fast zittern wird. Das Adagio cantabile an zweiter Stelle beginnt wie ein Miniatur-Klarinettenkonzert, in dem sich Alexander Bader von den Begleitstimmen gemächlich hinübertragen lässt zu Wolfram Brandl (Violine), der das Thema nun noch einmal aufnimmt, Variationen über eine eher bescheidene Melodie-Idee, die jedem Instrument seinen Auftritt gönnen. Für das Horn gibt es hier als Solo nur einen einfachen Quintsprung nach oben, mit trägem Zurücksinken über die Mollterz – doch adelt ein Musiker wie Stefan de Leval Jezierski sogar diese Passage. Stark und dick wir eine Orgel tönen dagegen die Klarinetten-, Horn- und Fagott-Pärchen im ersten Satz des Sextetts op. 71. Das zierliche Trio im dritten Satz bietet darin eine fast wunderlich zu nennende Abwechslung. Dass die zehn Mitwirkenden sämtlich Berliner Philharmoniker sind oder diesem Umfeld entstammen, entsprechend große Erfahren mit dem Ensemblespiel haben, glaubt man dieser Aufnahme immer wieder anzuhören, vor allem bei den vielen Tanzeinlagen, die stets duftig, nie trampelig geraten, von Klarinttenklang und Geigengesang oder in den famos glatt gespielten Parallelpassagen im Presto des Es-Dur-Septetts.